Trinity
für PC (DOS)

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Mr Creosote:
Firma: Infocom
Jahr: 1986
Genre: Adventure
Thema: Apokalypse / Sonstige Fantasy / Science Fiction / Krieg / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 20622
Rezension von Mr Creosote (21.02.2015)
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Man könnte meinen, Trinity sei drei Jahre zu spät gekommen. Der US-Senat verweigerte die Ratifizierung SALT IIs bereits ein paar Jahre zuvor, der zivile Korean-Air-Lines-Flug-007 wurde vor lauter Paranoia im September '83 abgeschossen, die Able-Archer-Übung zeigte eine neue Qualität der provokanter Drohgebärden und Ende des gleichen Jahres setzte der deutsche Bundestag den umstrittenen NATO-Doppelbeschluss, d.h. machte den Weg frei für die Stationierung neuer Atomraketen direkt am Eisernen Vorhang, der Europa zu der Zeit teilte. Die wohl durchdringenste fiktive mediale Behandlung dieses neuen Höhepunkts weltweiter Spannungen folgte in Form von The Day After – Der Tag danach, der im US-Fernsehen ebenfalls noch im gleichen Jahr gesendet wurde. 1986, als dann Trinity veröffentlicht wurde, war die Situation zwar immer noch weit von wirklicher Stabilität entfernt, aber immerhin schienen sich die Dinge zumindest wieder in eine sich langsam entspannende Richtung zu entwickeln. Hatte Infocom zu lange mit der Entwicklung gebraucht und so das trendige Angstthema des Atomkriegs verpasst?

Die gute Nachricht: Die Problematik stellt sich im fertigen Spiel eigentlich nicht, da die konkreten Bezüge auf die echte Welt nicht von zentralem Belang sind. Stattdessen versucht man sich an einer philosophisch angehauchten Diskussion, was Atomwaffen bedeuten, wie sie also unsere Welt grundlegend verändert haben. Dies, wenn man sich auch lange nach dem großen Hype nochmal ins Bewusstsein ruft, dass die Welt weiterhin nicht mehr als der metaphorische Knopfdruck von sofortiger völliger Auslöschung entfernt ist, ist eine uneingeschränkt zeitlose Thematik.

Das Spiel beginnt in einer nicht genauer benannten nahen Zukunft in den Londoner Kensington Gardens. Ein amerikanischer Tourist besucht die „alte Welt“, die sich jedoch noch ein ganzes Stück seltsamer zeigt, als er es angenommen hatte. Insbesondere hindern bizarre Unwahrscheinlichkeiten den Protagonisten daran, die Gärten überhaupt wieder zu verlassen und das Gras zeigt ebenfalls seinen ganz eigenen Willen. Obendrein ist eventuell sogar das Zeitgefüge durcheinandergeraten, da manche Dinge wie im Zeitraffer ablaufen, andere sich wie Gummi dehnen.

Wie sich herausstellt sind dies alles die Effekte des bevorstehenden Einschlags einer Atomrakete. Der dritte Weltkrieg hat begonnen und die Welt wird in diesem Moment zerstört. Direkt vor dem Einschlag entedeckt der Protagonist jedoch eine in der Luft hängende weiße Tür – und dahinter erwartet ihn eine surreale Landschaft. Aus diesem Auge des Sturms kann man dann wichtigen historischen Ereignissen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Verbreitung von Atomwaffen beiwohnen, nachdem man die Funktionsweise einer eindrucksvollen Maschine durchdrungen hat.

Der Spieler springt also von Szene zu Szene und entkommt (idealerweise) immer denkbar knapp einer atomaren Explosion und bringt ein Artefakt mit zurück. Wahrscheinlich sollen diese kurzen Schlaglichter einen Denkprozess über den Horror der Atomwaffen, aber auch die Zwangsläufigkeit ihrer Entwicklung in Gang setzen.

Dabei, und das ist zugleich größte Schwäche und Stärke des Spiels, dreht sich der Plot komplett um das Leitmotiv der Geschichte der Atomwaffen – es verliert den Schwung, den es noch in der Eingangsszene noch hatte, vollkommen, sobald man durch die erste weiße Tür tritt. Das Design verlässt sich voll auf die Neugier des Spielers gegenüber der seltsamen Welt, was sie wohl repräsentiert. Erst in der letzten Episode, auf dem „Trinity“-Gelände, auf dem der erste erfolgreiche Atombombentest stattfand, gibt es wieder klar ausgesprochene Ziele. Dazwischen findet einfach sehr viel Erkundung aus Selbstzweck statt.

Ob das ausreicht, hängt stark vom Rezipienten ab. Es ist insofern eine Qualität, dass einem dadurch der Missbrauch der Thematik in Form eines Hollywood-Rührstücks über ein Einzelschicksal erspart bleibt. Andererseits, und das ist natürlich mit 30 Jahren Abstand schwierig zu beurteilen, hinterlässt die aus Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln entliehene Motivik einen leicht fahlen Nachgeschmack. Doch ob es erst seitdem solch ein Cliché geworden ist (heutzutage bedient sich ja gefühlt jedes zweite Spiel der gleichen Vorbilder), oder es damals schon war, ist schwierig zu sagen.

Sicher ist jedoch, dass die Balance zwischen den Szenen eine diffizile Angelegenheit ist. Haupteindruck bleibt leider, dass die Portalumgebung und die historischen Szenen sich erzählerisch nicht ausreichend voneinander unterscheiden. Mit dem Schritt durch die weißen Türen lässt der Protagonist nicht etwa die surrealen Elemente zu Gunsten realistischerer Szenerien hinter sich. Nein, der Surrealismus schwappt auch in diese anderen Welten über. Im Falle der Kensington Gardens ergab das als Exposition und initialer Motivationszünder noch Sinn und stellenweise staunt man, wie Objekte und Symbole meisterlich in leicht abgewandelter Form wieder aufgegriffen werden (wie der seifenblasende Junge), doch der Basis solcherlei Parallelen beraubt, wirken diese Elemente deplatziert, erweitern oder unterstützen sie doch die Erfahrung nicht auf bedeutsame Weise. Tatsächlich sorgt dies eher dafür, die klare Unterscheidung und Identifikation der verschiedenen Schauplätze zu schwächen. Das Spiel holt in diesem Sinne nicht das Optimum aus seiner Struktur heraus.

Ähnlich gelagert verhält es sich mit den Artefakten, die man in jeder Szene findet. Leider liegt deren symbolischer Wert im Bezug auf die Thematik praktisch ausschließlich bei Null. Man lässt hier eine Schaufel, dort ein Funkgerät mitgehen. Dinge, die man zu praktischen Zwecken in späteren Episoden benötigen wird, aber für die Erzählung funktionslos sind, und damit eine weitere verpasste Gelegenheit die thematische und spielerische Seite zu einer wirklichen Einheit zu verschmelzen.

Andererseits erhält sich Trinity immerhin überhaupt ein klassisches Adventuregameplay, was man vor allem im Vergleich zu Infocoms anderem experimentellen Spiel der gleichen Zeit, A Mind Forever Voyaging bemerken muss. Der Spieler wird nicht in eine rein passive Beobachterrolle gepresst. Rätsel sind zu lösen und stellenweise versprühen sie den Hauch von Genialität – mindestens ergeben sie aber Sinn im Kontext der Welt (wissend, dass es einfacher ist, gute Rätsel in einer surrealen Fantasywelt zu designen, da die Spieler bereit sind, auch einer solchen Basis mehr hinzunehmen). Nur in der finalen Episode, die darüber hinaus sogar noch eine recht enge Zugbeschränkung aufweist, sprengt der Schwierigkeitsgrad vielleicht die angemessenen Grenzen.

Trinity, und auch AMFV, sind die Spiele, nach denen sich bis heute der Großteil der Amateur- und semi-professionellen Textadventuredesigner strecken. Langfristig hat sich wohl letztere Formel durchgesetzt: Trinity ist immer noch stark im traditionellen Rätselschema verwurzelt, das über die Jahre stark an Popularität verloren hat. Man könnte es insofern als Zwischenschritt von Spielen wie Feasibility Experiment – einer sehr traditionellen Schatzsuche in einer surrealen Welt voller körperloser Stimmen wie in Trinity, nur ohne den erschreckenden Hintergrund des weltlichen Themas – und AMFV.

Wobei man durchaus argumentieren könnte, dass Trinity die überlegene Blaupause hätte sein können, da es immerhin versucht, zerebrale Spielaktivitäten mit zerebralem thematischem Engagement zu verbinden. Es macht sich die Sache nicht einfach und beschäftigt den Spieler. Klar, es greift nicht vollkommen erfolgreich ineinander, wie oben ausgeführt, aber der Versuch ist sichtbar und der relative Erfolg wurde selbst dreißig Jahre später nur selten wieder erreicht: Die meisten Alice-inspirierten (oder sonstwie surreal-aber-bedeutungsvoll), selbsternannt „literarischen“ Spiele unserer Zeit werfen ja tatsächlich nur überzogene, clichébeladene und überbeanspruchte Symbolik wahllos zusammen, um den Spielern eine platte Interpretation aufzuzwingen.

Trinity mag Vieles offen lassen, aber nicht, weil es sich vor ernsthaften Antworten drückt, sondern vielmehr, weil es Symbolik sinnhaft einsetzt und den Spieler insofern ernstnimmt, dass es ihm zutraut, eigene Schlüsse zu ziehen. So wie es alle guten klassischen Science-Fiction-Stoffe tun.

Es hätte es sich viel einfacher machen können, indem es brav den Spruch der bösen Atomwaffen aufgesagt hätte und der Applaus der Zielgruppe wäre wahrscheinlich nicht unterscheidbar kleiner gewesen. Im Rahmen des vorherrschenden Zeitgeists muss dies verlockend gewesen sein. Sobald man sich von dem Offensichtlichen („atomare Zerstörung = böse“) entfernt und sich auf die menschliche Ebene bewegt, wird alles grau und unüberschaubar komplex. Doch vielleicht ist es ja gerade diese Komplexität der Fragen an Stelle der Klarheit der Antworten, die das Spiel so nachhaltig bleibend machen.

Und wenn man dann doch nochmal über die Relevanz klassischer (oder, je nach Interpretation, altmodischer) Spielelemente nachdenkt, dann könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass diese das thematische Erlebnis des Spielers noch bereichern. Menschliches Erinnern funktioniert durch Assoziationen. Etwas über faszinierende Themen zu lesen kann eine unglaubliche intellektuelle Erfahrung sein. Diese gleichen Dinge mit den Erfolgserlebnissen, auf dem Weg dorthin befriedigende Rätsel selbst gelöst zu haben, zu verbinden, hebt die Gesamterfahrung auch auf eine positive emotionale Ebene.

Dies hätte durch eine stärkere Vernetzung jener Rätsel mit den thematischen Fragen auf symbolischer Ebene noch verbessert werden können. Doch man muss mit Trinity in dieser Hinsicht etwas nachsichtig umgehen: Es wurde ohne den Luxus zahlloser Vorbilder entworfen. Die Techniken interaktiver Erzählungen, die sich seitdem etabliert haben, und insbesondere die Erforschung ihrer Wirkung, steckten damals noch in den Kinderschuhen. So hat sich Trinity nicht nur als äußerst einflussreiches Spiel von historischer Bedeutung sehr gut gehalten, sondern ist auch immer noch eine uneingeschränkte Spielempfehlung wert.

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