Dragonstone
für Amiga (OCS/ECS)

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Mr Creosote:
Firma: Core Design
Jahr: 1995
Genre: Rollenspiel, Action
Thema: Schwerter & Magie
Sprache: English, Français, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 12222
Rezension von Mr Creosote (05.09.2015)
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Höchstwahrscheinlich habt ihr noch nie von Dragonstone gehört. Es wurde exklusiv auf einer sterbenden Plattform, deren Herstellerfirma bereits gerade pleitegegangen war, veröffentlicht und niemals woanders umgesetzt. Ist dies also das unentdeckte Juwel, der Geheimtipp, auf den wir alle immer hoffen? Ehrlich gesagt hätte ich das bis jetzt auch nicht beantworten können. Die Box stand jahrelang im Regal herum, aber meine Erinnerung an das Spiel konnte man bestenfalls als oberflächlig bezeichnen. Vielleicht nicht das beste Zeichen, da man daraus wohl schließen könnte, dass es nicht besonders erinnerungswürdig war, aber gut – jeder hat eine zweite Chance verdient.

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Los geht's… sieht gar nicht mal schlecht aus

Laut Box wurde das Spiel als „Fantasy-Rollenspiel-Abenteuer“ vermarktet. Fantasy passt schonmal wie die Faust aufs Auge. Ohne Intro wird man gleich ins kalte Wasser geworfen: In dem optisch an Chaos Engine erinnernden Wald wird der schwertschwingende Held praktisch sofort von typischen D&D-ähnlichen Monstern angegriffen. Der Titel und die Box deuten subtil das Auftauchen von Drachen im Laufe des Plots an und tun damit ihr Übriges.

OK, mangels Intro wird der Plot doch dann sicher in der Anleitung eingeführt, oder? Das könnte man annehmen, doch man wird sofort enttäuscht: ganze drei Seiten (!) werden pro Sprache spendiert, und diese werden komplett von Credits, Standardviruswarnungen und grundlegenden Anweisungen zur Steuerung verschwendet. Hmm…

Also schauen wir uns einfach mal ein bisschen selbst um. Bäume, dünne Bächlein und sogar Pilze sind für unseren Charakter unüberwindliche Hindernisse. Zum Glück fällt einem praktisch sofort eine magische Schriftrolle in die Hände, die einen an den richtigen Orten aktiviert zu anderen Plätzen teleportiert. Wiederum andere Wege können durch das Lösen kleiner Rätsel geöffnet werden. Am Ende des ersten Levels erwartet einen dann noch das obligatorische Endmonster und das zweite Level ist dann sogar ein kleines Dorf mit Häusern und Bewohnern, mit denen man interagieren kann.

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Ach, lass mich doch in Ruhe!

Im Prinzip gar nicht mal so schlecht bisher, wären da nicht die Monster. Diese verhalten sich ziemlich chaotisch, rennen ohne Sinn und Verstand wild durch die Gegend. Sobald sie vom sichtbaren Bildschirmausschnitt verschwinden, werden sie sogar offensichtlich nicht weiter simuliert, sondern komplett aus dem Spiel genommen, nur um dann irgendwo völlig anders wieder aufzutauchen. Sie werden sogar mehrfach und ebenfalls scheinbar zufällig wiederbelebt, so dass jeder Weg durch die Landschaft sich im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhaft gestaltet.

Das liegt daran, dass das Kämpfen einfach so überhaupt keinen Spaß bereitet. Es gibt nur einen einzigen Standardschlag mit dem Schwert (nur die Stärke hängt davon ab, wie lange man den Feuerknopf gedrückt hält) und so ist der einzige entscheidende Faktor das Timing. Schlägt man im richtigen Moment, trifft man den Gegner, dieser wird zurückgeworfen und muss sich neu nähern. Vergeigt man das Timing, wird man selbst getroffen. Ist man von mehreren Gegnern eingekreist, besteht die Gefahr, durch alternierende Treffer niemals mehr überhaupt die Chance zu bekommen, überhaupt nochmal einen Schlag zu versuchen – man kann nur noch auf den sicheren Tod warten.

Wie ist es mit dem versprochen „Rollenspiel-Abenteuer“? Charakterinteraktionen beschränken sich größtenteils auf rein funktionalen Austausch, wie das Tauschen von Gegenständen oder dem Bezahlen von Objekten oder Dienstleistungen. Die Ausnahme bilden die geschwätzigen Drachen, die dann später auftauchen und die lahme „Wendung“ der Geschichte mit sich bringen (gähn…).

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Endlich!

Die Rätsel bewegen sich zwischen offensichtlich und anstrengend, da übermäßig verworren. Auf die Gefahr hin, etwas zu verraten, hier ein Beispiel aus dem vierten Level zur Veranschaulichung: Man braucht ein Boot, um zur Dracheninsel zu reisen. Ein Boot liegt herrenlos und unbewacht an den Docks, aber einfach nehmen kann man es nicht. Ein Schreiner bietet an, einem ein Floß zu bauen, wenn man ihm genügend Holz liefert. So ziemlich alles besteht in der Stadt aus Holz: die Stege, die Gebäude… man sollte meinen, man könnte sich einfach ein paar der zahlreichen Fässer schnappen, ein paar Planken mit der Brechstange herauslösen… aber nein, tatsächlich muss man mit der Brechstange den Dreizack einer Statue ersetzen (anstatt den Dreizack einfach mitzunehmen, obwohl wiederum niemand in der Nähe ist, der es merken würde), die Fässer einer Frau liefern, die einem dafür 100 Goldstücke zahlt, mit diesem Geld ein Zimmer in einem Gasthaus mieten, dort im oberen Stockwerk ein anderes Zimmer betreten und den Dreizack benutzen, um die hölzernen Bolen herauszubrechen! Moment mal… der Boden des ersten Stocks, das ist doch die Decke des Erdgeschosses, wo sich alle (inklusive dem Besitzer) aufhalten! Und das hat niemand gemerkt? Echt?

Doch immerhin ist das überhaupt noch mal ein Rätsel. Mit steigender Spielzeit kristallisiert sich immer mehr heraus, wie unausgeglichen die Levels sind. Während die ersten beiden – trotz ihrer Schwächen – locker als ganz guter Appetithappen durchgehen könnten, kommen im dritten eine Menge unfairer Monster hinzu und beinahe das gesamte Rätselpotential wird dann im beschriebenen vierten verschossen. Die dann bevorstehende zweite Hälfte des Spiels verbringt man in Tempel, die verschiedenen Elementen (Erde, Wasser und Feuer) gewidmet sind, und sort geschieht nur noch herzlich wenig. Man kämpft sich praktisch nur noch durch und das einzige Objekt außer dem Schwert, das man noch ab und zu braucht, ist die Schriftrolle. Der Grundgedanke ist dabei, dass mit der Zeit weitere Elementarmagien „freigeschaltet“ werden, da man immer mächtiger wird und besondere Artefakte findet, und dass all diese Kräft durch die Schriftrolle kanalisiert werden können. So weit, so gut, doch spieltechnisch muss man einfach immer nur die Schriftrolle „benutzen“ – die für die Situation notwendige Elementarmagie wird automatisch gewählt! Der diesbezüglich unfreiwillig komischste Moment erwartet einen in Level 5, in dem man die Schriftrolle vier oder fünf Mal direkt hintereinander benutzt, wobei jedes Mal dadurch etwas anderes ausgelöst wird.

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Spam, Spam, Spam, Spam!

Doch es ist nicht nur die Abwesenheit von Charakteren und Rätseln, die den Spielspaß in späteren Abschnitten immer weiter dämpfen. In den ersten Leveln mögen sich die Monster schon etwas seltsam verhalten haben, doch immerhin hatten sie noch Schlaganimationen für ihre Waffen oder Extremitäten, so dass man sich zumindest noch ansatzweise echte Kämpfe einbilden konnte. Die Elementarmonster, die spätere Level bevölkern, rennen einfach nur noch in einen rein (oder genauer gesagt: mangels richtiger Laufanimation gleiten sie in einen hinein) und zehren schon rein durch physischen Kontakt am Lebensbalken.

Die Tempel schließen dann jeweils auch wieder mit Endgegnern ab und es sind die ungeduldig erwarteten Drachen. Die alle exakt identisch sind! Sie sehen nicht nur identisch aus, sondern folgen sogar dem exakt gleichen Angriffsmuster und können entsprechend exakt auf die gleiche Weise geschlagen werden.

In vielerlei Hinsicht ist dies symptomatisch für Dragonstone insgesamt. Nach einem akzeptablem Anfang geht ihm sehr schnell die Puste aus. Im ersten Level mag man noch über die unsichtbaren Durchgänge geflucht haben, aber später wünscht man sich sie geradezu zurück, weil sie immerhin mal etwas Abwechslung in die Sache brächten. Der absolute Tiefpunkt ist dann der letzte Tempel (Feuer), der wirklich nach gar keinen logischen Gesetzen mehr aufgebaut ist, und in dem cleveres Leveldesign von einer schier endlosen Anzahl Flammenwerfer auf dem engen durch die Lava führenden Weg ersetzt wird.

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Neeeeeeeeeeein…

Vielleicht lag es ja an dem rasant schrumpfenden Markt, der Core Design veranlasste, das Spiel besser schnell auf den Markt werfen zu wollen, solange es immerhin noch ein paar potentielle Käufer gab. Vielleicht bauten sie auch darauf, dass die Kunden angesichts der geringer werdenden Auswahl schon alles nehmen würden. Vielleicht vertrauten sie darauf, dass die professionellen Rezensenten nicht weit genug ins Spiel vordringen würden, um festzustellen, wie die letzten Level überhastet zusammengeschustert wurden. Die kostensparende Anleitung passt auf jeden Fall ins Bild.

Woran es auch gelegen haben mag: Was bleibt ist ein actionlastiges Hack'n'Slash-Spiel im Stil Gauntlets, das ein paar grundlegende Rollenspielelemente wie rudimentäre Charakterentwicklung und Rätsel einbaut. Ein Spiel, das auf Computern läuft, aber nicht mal den Anstand besitzt, einen die länglichen Levelpasswörter per Tastatur eingeben zu lassen, sondern stattdessen ausschließlich auf eine fehleranfällige Joystickmechanik setzt. Ein Spiel, das aus den genau falschen Gründen schwierig ist, da es seine wenigen guten Abschnitte und Interaktionen kurz hält und dafür die frustrierenden in die Länge zieht. Es mag allein aufgrund seiner Obskurität und Abstammung interessant sein, aber viel mehr hat es leider wirklich nicht zu bieten.

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