Night Trap
für Mega Drive (Mega-CD)

01.jpg
Mr Creosote:
Firma: Digital Pictures / Sega
Jahr: 1992
Genre: Denkspiel
Thema: Sonstige Fantasy / Horror / Humor / Polizei & Verbrecher
Sprache: English, Français, Japanese
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 13534
Rezension von Mr Creosote (22.06.2013)
Avatar

Manchmal ist es beinahe nötig, auch die Rezensionen eines Spiels zu rezensieren. Night Trap löst in gewissen Teilen der Welt immer noch sehr emotionale Reaktionen bei denjenigen Menschen, die es überhaupt für erwähnenswert halten, aus. In Nordamerika hat es anscheinend bei Veröffentlichung einen regelrechten Aufschrei erzeugt, was sogar zu einer parlamentarischen Anhörung zu moralischen Standards in Videospielen führte – was heutzutage wiederum gerne in genannten rückblickenden Rezensionen ins Lächerliche gezogen wird.

NIGHT_TRAP_010.png
Die Gäste treffen ein…

Als das Spiel dann 1993 nach Europa kam, geschah nichts Dergleichen. Es interessierte einfach niemanden. Das Spiel wurde in kurz gefassten, eher gleichgültig geschriebenen Rezensionen in ein paar Konsolenzeitschriften vorgestellt. Was eventuell nicht nur an dem Spiel selbst, sondern auch an der extremen Seltenheit der Mega-CD-Erweiterung für Segas beliebtes Mega Drive lag; die Gesamtzielgruppe über den kompletten europäischen Kontinent verteilt hätte wahrscheinlich bei ca. einem Dutzend Menschen gelegen! Als das Spiel dann allerdings noch ein paar Jahre später auch in einer PC-Version erschien, interessierte es immer noch niemanden.

Worum ging es also in der Kontroverse, die auf der anderen Seite des Atlantiks stattfand? Die überflüssige Gewaltdarstellung und die sexuellen Anspielungen des Plots über eine Gruppe „Teenager“ (in bester Genretradition von Frauen erkennbar in den 20ern gespielt, eine davon sichtbar hart an der Grenze zur magischen 30), die in Gefahr schweben, von possierlich herumhinkenden Leprakranken „angebohrt“ zu werden, war in einem Spiel für Kinder (denn offensichtlich wandte sich ja das gesamte Videospielmedium exklusiv an Kinder) der Moralpolizei wohl zu viel.

NIGHT_TRAP_035.png
…während im Bad bereits ein „Auger“ („Bohrer“) herumschleicht.

Genau die gleiche Diskussion hatte jedes andere Medium durchmachen müssen, sobald es in ausreichendem Maße das Bewusstsein des Mainstreams erreicht hatte. Ein humorvolles Science-Fiction-Remake des Klassikers Graf Zaroff – Genie des Bösen namens Jäger der verschollenen Galaxie (das ich als stolzer Besitzer der DVD wärmstens nicht nur als liebevolle Hommage an das Original, sondern auch als einen der wenigen „schlechten“ Filme, deren beabsichtigter Humor funktioniert, empfehlen kann) hatte, als es im gleichen Jahr, als auch Night Trap herauskam, im Spätabendprogramm des amerikanischen Fernsehen lief, ebenfalls ein paar dortige Senatoren aufgebracht. Und in den 1980er Jahren, der offensichtlichen Entstehungszeit Night Traps, hatte es auch hier große Diskussionen über sogenannte Zombiefilme, die seinerzeit den Videomarkt überschwemmten, gegeben.

Es fiele leicht, dies – wie die Mehrheit es heutzutage zu tun scheint – als Unsinn abzutun, da die verklemmten alten Männer in den dunklen Anzügen es einem allzu einfach machen. Sie gestanden völlig offen ein, Night Trap und auch die anderen Spiele, die als ihre Angriffsfläche herhalten mussten, niemals gespielt zu haben. Ein entscheidender Kritikpunkt schien zu sein, dass sie annahmen, es sei das Spielziel, hilflose Mädchen in Fallen zu locken, während es tatsächlich Aufgabe des Spielers ist, eben diese Mädchen zu schützen, indem man ihre Angreifer in Fallen lockt. Den meisten Rezensenten reicht es, dies klarzustellen, doch bei allem angebrachten Respekt ist es kaum eine ausreichende Verteidigung, dass dein Angreifer sich in Teilbereichen seiner Argumentation irrt.

Man denke wieder an die Filmwelt: Was ist das verbindende Element aller sogenannten Exploitationfilmen? Schnell kommt man zu dem Ergebnis, dass es Doppelmoral ist. Wie viele dieser Filme geben vor, konservative oder sogar reaktionäre Ansichten zu propagieren, „perverse“ sexuelle Vorlieben oder sinnlose Gewalt zu verurteilen? Wie viele geben sich das Gesicht einer „Dokumentation schockierender Tendenzen“ außerhalb (oder innerhalb) der „anständigen Gesellschaft“? Während sie natürlich gleichzeitig in der Faszination genau dieser Dinge ausführlichst schwelgen. Ein bekanntes frühes Beispiel aus den 1930er Jahren ist Child Bride: Dieses „Drama“ ist angeblich eine Kritik der damals wohl noch vorherrschenden Praxis in den südlichen USA, kleine Mädchen zu verheiraten, aber die längste Szene des gesamten Films ist die, in der ein eben solches Mädchen nackt in einem See herumplantscht. Wenn das mal keine Doppelmoral ist…

NIGHT_TRAP_034.png
Look right behind you…

In diesem Sinne wäre es durchaus möglich, dass auch Night Trap nur oberflächlich den Schutz der Mädchen im Sinn hat, während es ihm eigentlich darum geht, sie möglichst explizit verfolgt, gequält und schließlich ermordet zu zeigen (und man muss ehrlich zugeben, dass es sehr wohl auch eine Szene ganz am Ende des Spiels gibt, in der der Spieler eine tödliche Falle bei einem der Mädchen anwenden kann). Die Frage, die man also eigentlich stellen müsste, ist: Sind diese Gedanken für dieses Spiel relevant und wenn ja, wie „schlimm“ ist es tatsächlich? Also anders gefragt, ist es die Entrüstung wirklich wert?

Night Trap fällt in ein Genre, das sich in der Filmwelt seit den 1970er Jahren entwickelt hatte: der selbstironische Slasher. Es ist sicher kein Nachteil des Spiels, dass sein Filmmaterial bereits zu Hochzeiten dieses Genres (Mitte der 80er) gedreht (und erstmal ungenutzt eingelagert) wurde: Poppige Kostüme, verrückte Frisuren und so ziemlich jede weitere Modesünde der Zeit (zu denen es dem Spiel sogar gelingt, noch ein paar hinzuzufügen) warten auf den Spieler. Begleitet wird die Bilderflut von einem eingängigen Soundtrack, zu dem die Damen in einer besonders denkwürdigen Szene tanzen und mit einstimmen.

NIGHT_TRAP_021.png
…NIGHT TRAP!

All die Standardtypen sind in den Charakteren repräsentiert: Die „Witzige“ (d.h. Nervige) ist für die wiederholten Versuche, die Stimmung aufzulockern, zuständig; der „kleine Bruder“ wird von niemandem ernstgenommen, als er frühzeitig die Bedrohung erkennt; ein anderes Mädchen ist rein zufällig der verlorenen Liebe eines der Hausbewohner wie aus dem Gesicht geschnitten. Apropos Bewohner (die Gastgeber der Party): Man braucht ca. 10 Sekunden, um herauszufinden, dass auch sie eigentlich Vampire, die mehr oder weniger im Bunde mit den anderen Bösewichten sind.

Der Spieler gehört dagegen einer Art Polizeitruppe namens SCAT (Sega Control Attack Team) an, der dank eines anderen furchtlosen SCAT-Angehörigen, der am Vortag eingedrungen und ein für alle Welt sichtbares Kabel angeschlossen hat, das Sicherheitssystem des Hauses unter Kontrolle hat. Dies besteht aus Überwachungskameras in acht verschiedenen Räumen sowie Fernauslösern für… überall großzügig verteilte Fallen. Man sollte meinen, dass wenn ein beliebiger SCAT-Mitarbeiter jemals vor Beginn der Mission einen schnellen Blick auf eine beliebige Kamera geworfen hätte, das „Geheimnis“ der Bewohner bereits aufgedeckt wäre, aber nein, das überlässt das Spiel dem Spieler (oder dem Leser dieses Texts).

Praktisch heißt das, dass in Echtzeit acht Videofeeds gleichzeitig abrufbar sind. Der Spieler kann zwischen ihnen beliebig hin- und herschalten. Es könnte jeweils in dem aktuellen Raum nichts los sein, der Plot vorangetrieben werden oder man trifft auf düstere Kreaturen, die hier umhertrotten. In letzterem Fall wird vom Spieler erwartet, dass er auf einer Skala auf Vollausschlag in den roten Bereich achtet und in dem Moment schnell die im Raum vorhandene Falle auslöst, um die Gefahr abzuwenden.

Es geht also eigentlich nur darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das war im Krimigenre ein etabliertes Konzept seit Deadline, so dass die teilweise sehr fundamentale konzeptuelle Kritik so doch recht unfair ist. Der Unterschied ist allerdings, dass Spiele wie Deadline einer inhärenten Logik, was wann wo passierte, folgten, während man in Night Trap (obwohl streng genommen keinerlei Zufallselemente auftreten) schlicht und einfach Rateglück braucht… oder eben mit großem Fleiß alles ausprobieren, notieren und später gedanklich zusammensetzen muss.

NIGHT_TRAP_004.png
Ihre Augen sollen hier unheimlich grün leuchten – geschickt, das Spiel gleich mit einem technischen Problem aufgrund der beschränkten Farbpalette beginnen zu lassen!

Die wahre Schwäche des Spieldesigns liegt jedoch woanders: im Spannungsfeld, das Spiel erfolgreich zu bestreiten, gegenüber dem Ziel, den Plot zu verfolgen. Das Spiel zwingt seinen Spieler, sich mehr oder weniger zwischen diesen beiden zu entscheiden, denn um die Eindringlinge zu fangen, muss man sich meist an Orten herumtreiben, an denen sonst eben nicht viel passiert. Nicht dass der Plot ein besonders tolles Meisterwerk wäre, aber immerhin ist er ganz amüsant. Eventuell liegt darin sogar mehr Unterhaltungspotential als im dünnen Spielprinzip. OK, nicht „eventuell“. Alles in Allem bedeutet das, dass das Spiel keine Dringlichkeit vermittelt, gut zu spielen. Im Gegenteil, es belohnt eine auf Minimalleistung (um ein frühzeitiges Ende zu vermeiden) optimierte Spielweise.

Große Kunst darf man natürlich nicht erwarten. Fast keine der Darstellerinnen und Darsteller sind vorher oder nachher jemals wieder irgendwo professionell aufgetreten, aber sie befinden sich immerhin auf einem Niveau, das dem ähnlich gelagerter Filme entspricht. Da es sich bei dem Spiel um ein Pionierwerk des Genres „interaktiver Filme“ handelt, gehört es einer Generation an, in der es noch als guter Stil galt, in physischen Kulissen und mit echten Requisiten zu drehen, anstatt einfach alles vor einem Bluescreen aufzunehmen. So billig die Ausstattung auch gewesen sein mag, wird damit immerhin ein sauberer, glaubwürdiger Look erreicht. In manchen Szenen versuchen die „Regisseure“ sich sogar an dynamischer Inszenierung, d.h. Charaktere bewegen sich umher, betreten oder verlassen Szenen, Gruppen spalten sich von der Masse ab, um eine unabhängige eigene Szene zu beginnen und verschiedene (voneinander unabhängige) Dinge geschehen gleichzeitig in Vorder- und Hintergrund. Das kommt natürlich niemals der Qualität des Leidensgenossens Jäger der verschollenen Galaxie auch nur nahe, aber es hat immerhin seine lichten Momente.

NIGHT_TRAP_100.png
Unten ein Eindruck, wie das Spiel aussähe, wenn man es auf einem zwanzig Jahre alten Fernseher spielte.

Wie bereits erwähnt wurde Night Trap in den 1980er Jahren für eine nie fertigentwickelte Spielekonsole auf VHS-Basis produziert. Die erste Generation von CD-Systemen, wie eben die Mega CD, war was die Videoqualität angeht noch weit davon entfernt, was wir heute für selbstverständlich halten. Die stark eingeschränkte Farbpalette und der winzige für das eigentliche Video reservierte Bildschirmausschnitt sorgt heutzutage für einige Häme.

Doch ehrlich gesagt ist auch dies, wie so viele Dinge, die heute über das Spiel geschrieben werden, nicht besonders fair. Zugegeben, spätere Versionen des Spiels, besonders die auf dem 3DO, sehen viel besser aus, aber man muss auch bedenken, dass heutige Emulatoren, die digital direkt pixelscharfe Flachbildschirme ansteuern, nicht dem entsprechen, worauf die Grafik damals ausgelegt war. Vor 20 Jahren waren das PAL- oder NTSC-Röhrenfernseher. Damit wäre das Bild also vergleichsweise unscharf geworden (ähnlich wie bei einem abgenudelten VHS-Band…), aber die Farbinterpolation wäre beispielsweise in den meisten Szenen überhaupt nicht sichtbar gewesen. Man sollte also nicht alles, was man so im Internet an Screenshots findet (wie eben beispielsweise hier auf der Seite) für bare Münze nehmen.

Jetzt mag es so wirken, als verteidige ich das unhaltbare, und vielleicht ist da sogar etwas dran. Es ist nicht zu bestreiten, dass Night Trap insofern ein schlechtes Vorbild für das sich entwickelnde Genre gab, dass es dem Spieler einfach nicht genug zu tun gab (wodurch das erste Wort des Begriffs „interaktiver Film“ schnell zum großen Witz verkam) und dass diese geringe Interaktion eben auch nicht besonders spannend war. Immerhin ist diese Interaktion nicht besonders frustrierend und der Kurzfilm gehört (im Gegensatz zu beinahe allem, was später im Genre folgte) nicht zu der Kategorie, die man sofort wieder vergisst. Das Spiel unterhält auf einer anderen Ebene als der spielerischen. Nach ernsthaften Maßstäben ist es sicherlich beeindruckend, wie viele Logikfehler, die man keinesfalls als beabsichtigte Satire verbrämen kann, man in einer so kurzen Laufzeit unterzubringen fähig ist. Trotzdem fühlte ich mich für kurze Zeit gut unterhalten. Nicht, dass es den Kult, der heutzutage um das Spiel entstanden ist, verdient – genausowenig wie seinen berüchtigten Ruf. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt jedoch, dass es eben als Spiel vermarktet wurde und preislich damit bei einem Vielfachen einer DVD (oder seinerzeit einer Videokassette) der B-Filme, die es versucht auf die Schippe zu nehmen, lag. Jäger der verschollenen Galaxie habe ich vom Wühltisch für fünf Euro erstanden und es bietet viel mehr Unterhaltung als Night Trap. Wenn man also Unterhaltungssamkeit im Bezug zum Kaufpreis setzt, gibt es wirklich nichts zu beschönigen.

Kommentare (1) [Kommentar schreiben]

[Antworten]

Quiz