Neuromancer
für PC (EGA)

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LostInSpace:Besucherwertung:
4/6
Firma: Interplay
Jahr: 1988
Genre: Adventure
Thema: Science Fiction
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 9649
Rezension von LostInSpace (24.06.2016)
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Mit dem Buch Neuromancer hat William Gibson in den 80er Jahren das aufkommende Genre des Cyberpunk mitbegründet und zählt auch heute noch zu den absolut lesenswerten SciFi-Autoren. Ein gewisser Timothy Leary – seines Zeichens LSD-Guru der Hippie-Generation, Visionär und „Bewusstseinsforscher“ – hat aus Begeisterung an den neu aufkommenden Möglichkeiten der Computer und der faszinierenden Idee des Internets eine Umsetzung des Buches an die Softwareschmiede Interplay herangetragen. Nach den ersten Versionen für Amiga und C64 kam 1988 auch endlich der PC an die Reihe.

Hauptfigur ist Case, der seine Hackerfähigkeiten zum Überleben in der realen Welt nutzt. Diese Welt sieht im Spiel bis auf ein paar schwebende Polizeiroboter eher unspektakulär aus und lässt der Fantasie des Betrachters viel Spielraum, darin die dystopische Megametropole Chiba mit ihren gefährlichen Untergrundwelten und japanischer Leuchtreklame, die viel zur Atmosphäre des Buches beiträgt, zu sehen. Denn hier braucht man das liebe Geld für so unnötige Dinge wie Essen und eine dieser Schlafkojen in den billigen Hotels gegenüber des Rotlichtmilieus. Auch die Leitung ins Internet frisst unbarmherzig Credits. Man sollte sich jedoch trotzdem nicht verleiten lassen, einfach nur seine Körperteile gegen Plastikimitate zu tauschen um an Geld zu kommen. Der echte Puzzler durchforstet viel lieber unter Zeitdruck die Mailboxen und schwarze Bretter der verschiedenen Untergrundorganisationen und versucht sich wo es nur geht mit seinem Deck – also der Urform eines portablen Computers – einzuhacken.

Ein großer Teil der eigentlichen Puzzles verbirgt sich in diesen riesigen Textmengen, auf die man beim Surfen stößt. Man sollte also ein Freund der englischen Sprache sein. Mithilfe von Passwörtern, geklauten IDs und illegal heruntergeladenen Softwarepaketen hackt man sich seinen Weg zum großen Geld. Doch was ein echter Hacker ist, der lässt schöne Frauen und schnelle (Hover-?) Autos rechts liegen und steigt mit dem neu erstandenen Deck Samurai Seven – für das noch bessere Mega-Super-Gerät Ono-Sendai Cyberspace V11 reicht das Geld noch nicht und die ultimativen Cybereyes bekommt man erst gegen Ende des Spiels – ins richtige Cyberspace ein. Ab jetzt wird jede Entität im virtuellen Raum auch grafisch dargestellt und man kann meist erst nach Durchbrechen der Sicherheitssoftware – die im Spiel Ice genannt wird – auf sie zugreifen. Hier bekommt man es irgendwann nicht nur mit den Pendants zur realen Welt wie unserer Unterkunft Cheap Hotel oder unserem Arbeitgeber Hosaka zu tun, sondern bricht auch in das gut abgesicherte KGB oder die Bank of Zurich Orbital ein.

Gut, bis hierher ist es eben eine Zukunftsvision, die heute vielleicht in etwas abgewandelter Form Realität geworden ist und damit so interessant ist, wie die Zeitung von gestern. Aber die Geschichte endet natürlich noch nicht. Im Grunde geht es im Weiteren um den Kampf gegen eine „Artifical Intelligence“ namens Neuromancer (hört, hört, wer hätte das gedacht), die sich im Cyberspace gebildet hat und mit ihrer Intelligenz in die weltweiten Verflechtungen und Zusammenhänge und auch in das Leben unseres Helden Case eingreift. Daher kommt beim Spieler spätestens jetzt der Terminator-Effekt zum Tragen und er fühlt sich wie der einsame Hacker, der gegen die unbemerkte dunkle Bedrohung als Retter der Menschheit antritt und letztendlich hoffentlich siegt und sich selbst sein Seelenheil wiederbringt.

Die tiefgründige Story hilft vielleicht etwas über die leider sehr stark gealterte Grafik hinweg. Der Sound ist ein motivierendes Midi-Thema, das sich an spannenden Stellen von selbst einschaltet und den Spieler nicht allzu selten aus seinen Knobeleien hochschrecken lässt. Ihr bekommt ausdrücklich kein Point-and-Click-Adventure, obwohl das Spiel Mausteuerung hat. Die spielerischen Elemente sind einerseits die Erkundung und Ausnutzung der Zusammenhänge in der (textlichen) Welt des Cybernets und das später wichtige eher actionmäßige Durchbrechen des schützenden Eises der Cyberspace-Protagonisten. Die reale Umgebung mit der Spielfigur tritt besonders gegen Ende hin in den Hintergrund und gleicht sich damit den Erfahrungen so manchen Computerjunkies an, der in einem abgedunkelten Zimmer vor dem PC umgeben von leeren Pizzaschachteln hauptsächlich im Cyberspace lebt.

Wer also etwas mit dem Genre und speziell mit den Ideen aus dem Buch Neuromancer anzufangen weiß, für den liegt hier eine echte Perle bereit zum Erkunden.

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