Neon Noir
für Amiga (AGA)

Mr Creosote:
Firma: Massimo Loi
Jahr: 2022
Genre: Adventure
Thema: Krimi / Polizei & Verbrecher / Science Fiction
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 1474
Rezension von Mr Creosote (21.01.2023)
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In vielerlei Hinsicht leben wir in hochpriviligierten Zeiten. Im Jahr 2022 konnte der Entwickler von Neon Noir auf Entwicklungstools zugreifen, von denen man zu Hochzeiten des Amigas nur hätte träumen können. Eine riesenhafte Bilddatenbank. Grafik, die von künstlicher Intelligenz erstellt wird. Über Generationen bewährte Programme zur Nachbearbeitung. Entwicklungsumgebungen und Maschinen, von deren Leistungsfähigkeit man nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Eine pulsierende, internationale Entwicklergemeinschaft in permanentem Austausch. Neon Noir sieht beeindruckend aus und klingt ebenso. Doch wie spielt es sich?

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Beschreiben kann man es wohl als simples Adventure. Selbst kategorisiert es sich sogar als japanische „Visual Novel“. Statische Illustrationen werden also von textbasierter Erzählung des Protagonisten begleitet. Man sucht die wenigen Hotspots im Bild (zwei oder drei pro Szene), bewegt sich so umher, beginnt eine Unterhaltung oder treibt die Geschichte sonstwie voran. Die Spielsystem erlaubt keine komplexen Interaktionen wie beispielsweise das Benutzen von Objekten mit anderen oder auf spezielle Weise. Fortschritt wird durch die korrekte Reihenfolge der Aktionen erreicht. Der Suchraum ist stark beschränkt, Makro- und Mikroaufgaben sind glasklar und somit ist ein Schwierigkeitsgrad praktisch nicht auszumachen.

Auf einer solchen spielerischen Basis muss die Erzählung die Motivation bieten. Neon Noir erfindet nichts grundlegend Neues. Es platziert sich selbst in dem hochbeliebten Genre des Cyberpunk-Noir. Dort kann natürlich niemand mehr dem Einfluss Blade Runners entkommen, ob nun bewusst oder unbewusst. Visuell, thematisch und stilistisch drückt das Spiel all die Knöpfe, die Fans lieben.

Entsprechend übernimmt der Spieler die Rolle eines Privatdetektivs. Ein Routinefall über eine Vermisste, so scheint es jedenfalls. Doch natürlich führt die Spur schnell in Richtung eines Bösewichts, der die Gesellschaft mit Hilfe von bewusstseinsverändernden Drogen kontrollieren und dabei stinkreich werden will. Transhumanismus und eine höchst zynische Vision der Entwicklung unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund technischer Fortschritte sind schwierige Themen, aber es bleibt natürlich weit über der Oberfläche. Doch das passt schon, denn man bekommt immerhin dieses wohlige Gefühl des Heimeligen ohne wirklich anstrengenden Anspruch. Alles sind Clichés, aber liebevoll gehütete.

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Entscheidender Verdienst ist dabei dem Schreibstil zuzugestehen. Natürlich wird in erster Person, im Präteritum, erzählt. Heutigen Spielern kommt man durch die knappe Ausdrucksweise entgegen. Auf den Punkt und an zentralen Stellen zugespitzt formuliert. Der Autor weiß genau, wann Drama angebracht ist, aber versteht es auch, mal einen kleinen Gag in die ansonsten ernsthafte Erzählung einzubauen. Es gelingt ihm sogar, einem ein falsches Happy End unterzuschieben. Klar, der Bösewicht ist aufgehalten. Was allerdings darin besteht, dass er wie eine heiße Kartoffel von einer wahrscheinlich noch viel böseren gesichtslosen Mega-Firma fallengelassen wird. Ein weiteres heißgeliebtes Cliché, ohne dass es zu reinen Zitaten verkommt. Da zeigt sich wahres Talent.

Damit ist Neon Noir ein Spiel, das trotz seines „Retro“-Charmes vor dreißig Jahren nicht hätte gemacht werden können. Bestenfalls kann man das Spielprinzip als flach bezeichnen. Damals wäre es verlacht, ihm der Status als Spiel abgesprochen worden. Der Plot hält nicht länger als eine Stunde. Doch die Zeiten haben sich geändert. All diese „Nachteile“ sind heute akzeptabel und sogar von vielen geschätzt. Die professionelle audiovisuelle Präsentation hinterlässt einen guten Eindruck deutlich über dem üblichen „Indie“-Standard. Neon Noir ist gut investierte Zeit.

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