Wing Commander
für PC (DOS)

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Mr Creosote:Besucherwertung:
4/6
Firma: Origin
Jahr: 1990
Genre: Action
Thema: Fliegen / Science Fiction / Krieg
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 3591
Rezension von Mr Creosote (22.08.2020)
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Bumm! Ein Kilrathi weniger. Bleibt nur noch dieser lästige an meinen Hacken. Den kriege ich auch noch. Ein paar Raketen sollten reichen. Doch… was ist das? Warum ist dieser Ziviltransporter unbewacht? Hatte ich diesen Spinner Maniac nicht explizit angewiesen, ein Auge darauf zu haben? Dieser Hitzkopf wird sich doch wohl nicht wieder weglocken lassen haben? War ja klar, da hinten jagt er Kätzchen. Und da ist auch schon die Feindstaffel, die nur darauf gewartet hat. Schnell zurück, hoffentlich bin ich nicht zu spät…

Wing Commander vor dreißig Jahren zu spielen war ein bis dahin ungekanntes Erlebnis. Die Intensität der Action wurde durch das menschliche Drama drumherum nur noch verschärft. Wobei es in dieser Weltraumoper um nichts Geringeres ging, als den letzten aller Kriege, das Überleben oder die Auslöschung der gesamten Menschheit. All das in einer hervorragenden audiovisuellen Präsentation, also pfeilschnelle, farbenfrohe Grafik, krachende Explosionen und grandiose Musik, die nochmal aufdrehte, je schwieriger die Situation wurde.

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Bumm!

Kinnladen fielen reihenweise hinunter bei diesem Anblick. Gefühlt völlig aus dem Nichts stellte ein einzelnes Spiel die Welt der Computerspiele auf den Kopf. Sogar noch mehr, da es exklusiv für den IBM PC erschien. Wirklich, dieses Bürogerät? Wie konnte das bloß passieren?

Wo die bislang weit verehrten Heimcomputer all ihre spezialisierten Chips zur Darstellung von Sprites und weichem Scrolling hatten, war der PC an allen rechts vorbeigezogen was die schiere Rechenleistung anging. Wing Commander bediente sich dieser Leistung mittels eines Tricks, nämlich indem es grafisch auf eine Technik zurückgriff, die zur Entstehungszeit eigentlich als hoffnungslos veraltet galt.

Anstatt die Raumschiffe dreidimensional nach den Regeln der Geometrie zu modellieren, wurden sie per Hand gepixelt. Vektorgrafik hatte den Vorteil, alle darauf aufbauende Modelle frei drehen und zoomen zu können, aber auf der typischen Hardware der Zeit sah das noch etwas detaillos und simpel aus. Also zurück zu Sprites, jedoch ohne Hardwaresupport. Ermöglicht wurde es also durch den starken Hauptprozessor, der wann immer nötig schnell ein Sprite durch eine andere Version des gleichen austauschen und so Veränderungen in der Entfernung, der Drehung oder dem verursachten Schaden simulieren konnte. Die Technologie war so weit, dies in einer grafischen Qualität darzustellen, die den damaligen Augen nahtlos erschien. Danke des 80386er Prozessors, VGA-Grafikkarten und – was Musik und Soundeffekte anging – dedizierten Soundkarten.

In der Rückschau muss man sich allerdings eines wieder bewusst machen. Die genannte Technologie war auf dem Markt, aber noch lange nicht in jedem Haushalt verbreitet. Was war mit all denjenigen, die immer noch ihre ATs, CGA- oder EGA-Karten sowie die Piepgeräusche des PC-Speakers verwendeten?

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Oh, nein, meine Augen!

Sie zurückzulassen wäre für Wing Commander kommerzieller Selbstmord gewesen. Nachdem sie die tollen Fotos in den Spielezeitschriften oder auf der Packungsrückseite gesehen hatten, nahmen nicht wenige Spieler das Spiel mit nach Hause, nur um es dann doch selbst nur in dem mittlerweile vergessenen EGA-Modus und eben dem PC-Speaker zu „genießen“. In dieser Form sah das Spiel plötzlich schrecklich aus und klang entsprechend. Was niemanden davon abhielt, es trotzdem zu spielen. Nur, um Teil dieser neuen Zeit zu sein.

Wie bei allen gestrigen technischen Sensationen stellt sich also die drängende Frage, wie sich das Spiel heutzutage noch hält.

Nachdem ich mich also nochmal in die Schlacht geworfen habe, kann ich guten Gewissens behaupten: gar nicht mal so übel; zumindest, wenn man es unter Optimalbedingungen spielt. Die pixeligen Raumschiffsprites wurden in ausreichend Zoom- und Richtungsvarianten abgespeichert, um einen einigermaßen flüssigen Übergang zu gewährleisten. Kommt man ihnen zu nahe, verwandeln sie sich natürlich in einen unerkennbaren Pixelhaufen, aber das geschieht normalerweise nur dann, wenn die Action gerade heiß genug ist, den analytischen Blick abzustellen. Der sich der Situation anpassenden Musik, die also in genau den richtigen Momenten aufdreht, ist in diesem Sinne sicher auch einiges zu verdanken.

Die spielbaren Raumschiffe gehören allesamt zur Kategorie der Jäger, mit den bekannten unterschiedlichen Gewichtsklassen, die die üblichen Kompromisse zwischen Wendigkeit und Stärke der Schilde und Waffen zeigen. Die hervorragende Anleitung, verfasst in Form einer Zeitschrift in der Spielwelt, hat sicher einen nicht zu verachtenden Anteil daran, diese Unterschiede größer erscheinen zu lassen als streng genommen messbar.

Einige Abwechslung bieten die Missionen trotzdem. Selbst erfahrene Flieger mit Adlerauge bekommen spätestens dann Probleme, wenn sie beispielsweise nicht nur sich selbst, sondern auch noch langsame Frachtschiffe schützen sollen. Da diese praktisch wehrlos sind, versuchen die Gegner den Spieler und seinen Wingman in Dogfights zu verwickeln und so abzulenken, um ihren eigenen Verbündeten freie Bahn zu ermöglichen.

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Auf zur Eskorte

Meteore und Minenfelder verleihen einigen Navigationspunkten mehr Würze. Und zuguterletzt ist auch der eigene Angriff auf einen Schlachtkreuzer recht anders als das übliche Dogfight-Einerlei. Treffer zu landen ist angesichts derer Größe geradezu trivial, aber sie frontal anzugreifen oder auch nur zu lange nah um sie herumzuschwirren ist definitiv keine gute Idee angesichts der großen Wummen.

Einen kühlen Kopf zu bewahren ist also Grundvoraussetzung. Die grobe Missionsstrategie wird jeweils – inklusive Flugroute – vorgegeben. Ebenso die Auswahl des Schiffs und des Wingmans.

Was dann zur Seifenoper auf dem Trägerschiff überleitet. Die Legende Wing Commanders erzählt von lockeren Sprüchen während der Missionsbesprechung, -nachbesprechung und überhaupt jeder Menge privatem Austausch mit anderen Piloten. Nun werden einige vielleicht enttäuscht sein: Das ist lange nicht so ausgeprägt wie ihr euch meint zu erinnern (wenn man nicht gerade in letzter Zeit selbst gespielt hat).

Was tatsächlich in der Pilotenkneipe zwischen den Missionen geschieht, sind jeweils drei kurze Unterhaltungen, die sich ausschließlich auf militärische Operationen beziehen. Piloten geben Tipps zur Flugtaktik, teilen Beobachtungen zum Verhalten der Gegner usw. Teilweise spielerisch hilfreich, aber auf die Beziehungsebene geht es niemals. Die Wingmen verhalten sich in den Missionen schon unterschiedlich, doch wenn man beispielsweise den unzuverlässigen Maniac lieber gegen den grundsoliden Paladin austauschen möchte, geht das nur, indem man ersteren in einer Mission sterben lässt. Diese Seite der Serie, die so oft groß hervorgehoben wird in Retrospektiven, fand erst in den Nachfolgern richtig statt. Selbst das ältere Wings, das in Origins Büros ganz sicher genauestens unter die Lupe genommen wurde, als sie letzte Hand an ihr eigenes Spiel anlegten, ging in diesem Sinne bereits viel weiter.

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Das Kriegsglück wendet sich gegen uns

Doch apropos sterbende Piloten, dies erlaubt Wing Commander immerhin. Anders als im zitierten Wings ist Erfolg oder Versagen des Spielers essentiell für den Fortgang des simulierten Krieges. Stirbt der Spieler, ist das Spiel verloren. Legt der Spieler einen Sieg nach dem anderen hin, wird der Krieg gewonnen. Schlagen Missionen fehl, aber der Spieler überlebt, geht es weiter, aber man bekommt entsprechend der sich verdunkelnden Gesamtsituation andere Missionen, in denen es dann mehr und mehr um verzweifelte Verteidigung geht, bis sich die menschliche Flotte schließlich komplett zurückziehen muss.

Letztere Missionen werden leider viel zu selten gespielt, obwohl sie teilweise besonders gelungen sind. Origin machte sich diesen Aufwand des sich verzweigenden Missionsbaumes nie wieder. Wenig überraschend stellte sich heraus, dass Spieler nur ungern verlieren. Das Scheitern an einer Mission wurde meist – anstatt einfach weiterzuspielen – mit dem Laden des Spielstands und einem neuerlichen Versuch beantwortet. Der Versuch, jeden Spieler (in Grenzen) seine eigene Geschichte erleben zu lassen, wurde leider nicht goutiert.

Warum, abgesehen von diesem Spezifikum, sollte man Wing Commander heute noch spielen? Es muss einem schon klar sein, dass man mit diesem Spiel ein Risiko eingeht. Das Risiko, einige seiner nostalgisch gefärbten Erinnerungen verdorben zu bekommen. Ich persönlich fühlte mich schon wieder gut unterhalten. Die Kernspielmechanik ist kaum gealtert und macht Laune. Das Spiel beherrscht das was es tut gut.

Nur wirkt es leider schon etwas beschränkt aus heutiger Sicht. Dass die technische Seite nicht mehr vom Hocker haut, darauf ist man vorbereitet. Doch selbst spielerisch muss man schon mit der Lupe suchen, irgendetwas zu finden, was nicht später im Genre nochmal aufgegriffen und viel besser gemacht wurde. Was einerseite eine Menge über den riesigen Einfluss dieses Spiels auf das gesamte Genre aussagt, aber andererseits den reinen Spaßfaktor schon einschränkt.

Man sollte sich also schon gut überlegen, warum man es eigentlich spielen will. Will man einfach nochmal erleben, wo der moderne Action-Weltraumshooter seinen Anfang nahm, dann los! Völlig zweifellos verdient dieses Spiel seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Ist man jedoch auf der Suche nach einem wirklich tollen Weltraumshooter, sollte man es sich zweimal überlegen. Wing Commander langweilt garantiert nicht, aber man ertappt sich doch schnell bei dem einen oder anderen Seitenblick auf die nachfolgende, jüngere Generation.

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